Langsam kommen die ersten Sonnenstrahlen hinter den hohen Anden hervor. Die Uhr zeigt kurz vor sechs am frühen Morgen an. Aristides ist bereits seit Stunden wach und macht sich nun mit einer Gruppe von Kindern erneut auf den Weg in die Stadt. Die Straßen sind menschenleer, viele Hauptstraßen innerhalb sowie außerhalb der Stadt blockiert. Aristides hat vom bolivianischen Gesundheitsministerium mittlerweile einen Passierschein bekommen. Die besonders schwer erkrankten Kinder müssen zu ihrer Therapie gebracht werden. Das betrifft besonders die an Krebs erkrankten Kinder oder diejenigen, die Dialyse benötigen. Normalerweise ist der Fahrdienst durch einen Krankenwagen geregelt. Durch den infolge der Corona-Pandemie herrschenden Ausnahmezustand bleibt dieser Abholservice auf unbestimmte Zeit aus. Aristides erzählt Building-ONE-World-Mitglied Julian Mönxelhaus: „Wenn die Kinder bei der Chemotherapie sind, dann fahre ich zurück, um die Kinder abzuholen, die zur Dialyse müssen“.

Abrupt stoppt Aristides seine Sprachnachricht. Wenige Minuten später dann die Fortsetzung: „Ich habe zum Glück einen Lastwagen mit Gasflaschen gesichtet. Ich habe direkt welche gekauft, wir haben kaum noch etwas im Casa de Niños“. Im „Haus der Kinder“ leben schwer erkrankte Kinder, die zuvor auf der Straße gelebt haben oder von Kinderheimen sowie der lokalen Polizei an Aristides vermittelt werden. Zurückgelassen von ihren Eltern leben sie nun bei Aristides und bekommen dort die angemessene Betreuung durch Bildung, ärztliche Versorgung sowie von Psychiatern und Sozialarbeitern.  In vielen Fällen wurden die Eltern der Kinder ausfindig gemacht und leben nun zusammen mit ihren erkrankten Kindern bei Aristides und seinem Team. Hier lernen sie Verantwortung zu übernehmen und bekommen Unterstützung bei der Betreuung ihrer erkrankten Kinder.

Während in Europa eine Phase des Durchatmens gekommen ist, ist Lateinamerika zum neuen Hotspot des Coronavirus geworden. Besonders für Aristides in Bolivien bedeutet das eine Verschärfung der ohnehin schon oft hoffnungslosen Situation für viele kranke Kinder, die im „Haus der Kinder“ leben. Ständig erreicht uns in Deutschland die Nachricht, dass erneut ein Kind an Leukämie gestorben ist. „Ich bin gerade im Krankenhaus, heute früh habe ich einen Anruf bekommen, dass ein Junge, der in der Onkologie war, gestorben ist. Er war sehr jung. Während der letzten Zeit sind sehr viele Kinder gestorben. Es ist eine schwierige Zeit für uns. Die Eltern des Kindes baten mich, einen Sarg zu besorgen und ihn nach Hause zu bringen, ins abgelegene Hochland“, berichtet Aristides mit betroffener Stimme in seiner letzten Sprachnachricht.

Besonders Aristides macht sich große Sorgen um die Familien mit ihren schwer erkrankten Kindern, die in seiner Einrichtung wohnen: „Die Kinder müssen zu ihren lebensnotwendigen Therapien gebracht werden, ansonsten werden sie sterben. Wir haben zwei Fahrzeuge zur Verfügung und sind den ganzen Tag unterwegs, um alle Kinder ins Krankenhaus zu bringen“. Die bolivianische Übergangsregierung hatte schnell reagiert und eine landesweite Ausgangssperre angeordnet. Supermärkte und Apotheken haben nur zwischen 6 Uhr und 12 Uhr geöffnet. Jeweils nur eine Person einer Familie darf für maximal drei Stunden aus dem Haus. Auf den Straßen werden von der Polizei und dem Militär die Ausweise kontrolliert. Samstags und sonntags herrscht dann für alle eine strikte Ausgangssperre. Niemand darf das Haus verlassen. Das ist auch der Grund, wieso ein Großteil des Personals nicht mehr in die Einrichtung von Aristides kommen kann. „Auch die Versorgung mit Nahrungsmittel ist schwieriger geworden“, erzählt er. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das „Haus der Kinder“ sehr weit außerhalb der Stadt liegt und nicht zuletzt die Lebensmittelpreise bereits stark angestiegen sind.

Für die Kinder ist das Virus eine große Gefahr, denn sie alle haben schwere Vorerkrankungen und viele sind darauf angewiesen, dass ihre dringend erforderliche medizinische Behandlung fortgeführt wird. Alltägliche medizinische Produkte sind bereits nicht mehr erhältlich. Apotheken sind aus Panik bereits leergeräumt worden.  Außerdem kommen mittlerweile auch wohlhabende Patienten aus den umliegenden Ländern wie Chile oder Brasilien, wo die offiziellen Zahlen von Neuinfektionen höher sind als in Bolivien, und verweilen in bolivianischen Krankenhäusern in Quarantäne. Das stößt in der bolivianischen Bevölkerung auf viel Protest, denn es werden wichtige Ressourcen des ohnehin sehr schlecht entwickelten bolivianischen Gesundheitssektors von wohlhabenden Menschen blockiert.

„Zu Kontrollzwecken haben viele Menschen wichtige Zugänge oder Brücke blockiert, was auch unsere Arbeit schwieriger macht. Viele Hauptstraßen sind unpassierbar. Wir müssen trotzdem versuchen die Kinder ins Krankenhaus zu bringen“, berichtet Aristides. Neben den Kindern aus seiner eigenen Einrichtung, versorgen Aristides und sein stark reduziertes Team ebenfalls auch Kinder und Jugendliche, die in Dörfern außerhalb der Stadt wohnen und keine Möglichkeit mehr bekommen, zu ihren lebensnotwendigen Therapien zu gelangen. So auch den siebenjährigen Brian, der mit seinen acht Schwestern und seinen Eltern in einem abgelegenen Bergdorf circa 150 Kilometer entfernt von Cochabamba wohnt. Hier gibt es keine Anbindungen an wichtige Hauptstraßen, die wenigsten Menschen haben überhaupt ein Auto. Die Region liegt auf fast 4.000 Höhenmetern. Hier leben die Menschen mit dem, was sie anbauen können, und in Anbetracht der Höhe ist das sehr monoton. Deshalb bringt Aristides den Menschen Obst und Gemüse aus den tropischen Regionen Boliviens mit, wenn er den kleinen Brian zur Chemotherapie abholt.  „In dieser Region gibt es ein ganz anderes Zeitgefühl. Alle müssen täglich auf den Feldern mithelfen. Brians Schwester erzählt mir, dass sie täglich jeweils zwei Stunden Fußweg zur Schule hinter sich bringen muss. Hier wird man schon mit den harten Lebensbedingungen von schwerer körperlicher Arbeit geboren“, erzählt Aristides. Nun sind viele Menschen aber verunsichert. In Bolivien leben viele indigene Gemeinschaften, weit abgeschottet vom Großstadtleben. „Bisher haben wir vergleichsweise sehr geringe Zahlen von infizierten Menschen. Aber sollte sich das Virus weiter ausbreiten, dann wird das in einem Desaster enden, besonders für unsere Einrichtung und die Menschen in diesen abgelegenen Regionen“, erzählt Aristides in einer Sprachnachricht an Julian Mönxelhaus, bevor diese erneut abbricht.

Mönxelhaus resümiert: „Die Pandemie zeigt uns die wahren Gesichter des Kapitalismus, in der unser Egoismus und der eigene Vorteil dem solidarischen Miteinander gegenüberstehen. Besonders in unserer deutschen Gesellschaft muss niemand Angst haben, vor Hunger zu sterben. Unsere medizinische Versorgung ist im Vergleich zu Bolivien sehr gut und solange alle Menschen ihren Teil zur Bewältigung der Pandemie beitragen und man sich, so gut es geht, auf das Notwendigste beschränkt, wird sich das nicht ändern. In diesen besonderen Zeiten muss an die Menschen gedacht werden, für die eine notwendige Gesundheitsversorgung und ausreichende Lebensmittel keine Selbstverständlichkeit sind. Wir wollen Aristides und sein „Haus der Kinder“ in diesen Krisenzeiten besonders unterstützen und sind auf die Mithilfe aus Spendenzuwendungen angewiesen. Durch einen kleinen Beitrag kann die medizinische Versorgung der Kinder sowie die Abdeckung von Grundnahrungsmitteln unterstützt werden. So kann auch die Hilfe für die Menschen in den entlegenen Regionen Boliviens sichergestellt werden.“

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