Tief im Wald stapfen eine Frau und ein Mann in der Dunkelheit durch den 30 Zentimeter hohen Schnee im Wald. Die Temperatur liegt unter null Grad. Die beiden haben ein Kind dabei. Omar ist erst ein Jahr und sechs Monate alt. Die Familie ist aus Syrien geflohen und auf dem Weg Richtung Europa. Die drei kommen vom „Spiel“, haben nichts zu essen, keine Schlafsäcke, durchnässte Turnschuhe, keine Taschenlampen. Wenn sie nicht bald einen warmen Platz zum Übernachten finden, werden sie womöglich sterben. Sieben kleine Kinder, ihre Mütter und Väter sowie einige Jugendliche befinden sich ebenfalls an anderer Stelle im Wald. Ein kleiner Junge schreit, ein Jugendlicher bricht zusammen, ist unterzuckert, muss ins Krankenhaus. Auch sie kommen vom „Spiel“.

Solche Szenen in den Wäldern Bosniens nahe der EU-Außengrenze zu Kroatien erlebt der Flüchtlingshelfer Dirk Planert aus Dortmund  täglich. Die Balkanroute ist für Flüchtlinge aus Nahost weiter der kürzeste Weg, um nach Europa zu gelangen. Doch Kroatien riegelt seine Außengrenze hermetisch ab.  Planert ist wütend angesichts des Ausbleibens angemessener europäischer Maßnahmen: „Niemand will diese Menschen. Und Kroatien macht die Drecksarbeit für die EU. Die EU schickt Gelder an die Internationale Organisation für Migration, schaut aber nicht, wo es bleibt und wie es verwendet wird.“

Planert versucht mit dem Nötigsten zu helfen. Mitglieder des Vereins Building ONE World (BOW) haben ihn im Dezember in der nordbosnischen Stadt Bihać getroffen, um sich ein Bild von seiner Arbeit zu machen. Der Journalist bekam im Juni durch Zufall mit, wie in Bihać gestrandete Flüchtlinge auf eine Müllhalde außerhalb der Stadt gebracht wurden. Die Behörden wollten sie dort „entsorgen“, wie Planert sagt. Er begann mit einem kleinen Team, die Menschen mit Nahrung und Kleidung zu versorgen und ihre Wunden zu verbinden.

Anfang Dezember wurde das Lager auf der Mülldeponie geschlossen, viele Flüchtlinge wurden in Kasernen nahe Sarajevo untergebracht. Doch damit ging Planerts Arbeit erst richtig los. Viele Flüchtlinge –  wie die syrische Familie mit dem kleinen Omar – irren seither in den Wäldern rund um Bihać umher. Sie versuchen, unbeobachtet von der Polizei, über die Grenze zu gelangen – was laut Planert nur in den seltensten Fällen gelingt. Jeden Morgen belädt er sein Allradfahrzeug mit Lunchpaketen, Schuhen, Taschenlampen und Schlafsäcken. Dann fährt er in den Wald, um zu helfen, wo er helfen kann – bis tief in die Nacht.

Viele Menschen in der Region kennen ihn inzwischen und rufen ihn an, wenn sie Hilfsbedürftige sehen. „Doctor“ nennen ihn die Flüchtlinge, obwohl sie wissen, dass er Journalist ist. „Dirk ist ein Machertyp“, berichtet BOW-Vorsitzender Sebastian Mörchen. „Er ist sehr direkt, beschönigt nichts und packt einfach an.“ Und Planert weiß: „Das Nichthandeln kostet Menschenleben.“

Die Zustände an der kroatischen Grenze beschreibt Planert als unmenschlich. In vielen Fällen verprügelten die kroatischen Polizisten die Migranten, nähmen ihnen Handys, Bargeld und Dokumente ab, hetzten Hunde auf die geschundenen Menschen und schickten sie zurück nach Bosnien. Auch gegenüber Minderjährigen und Frauen werde Gewalt ausgeübt. „Das Spiel“ werde dieses Hin und Her genannt. Die Geflüchteten versuchten es immer wieder. Aber Kroatiens Außengrenze sei scharf bewacht – bezahlt durch EU-Gelder – obwohl der Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta für sie gelten müsste. „ Die „Grenzschützer“ begingen also eigentlich eine Straftat. Die EU beauftrage eines ihrer Länder gegen den Artikel 18 zu verstoßen. „Was ist er dann noch wert? Was ist die EU wert, die Idee der EU? Die EU selbst zerstört sie gerade….“, meint Planert.

„Was da passiert, ähnelt einem Krieg“, sagt der Journalist, der schon mehrfach als Berichterstatter in Kriegsgebieten unterwegs war. „Die Waffe der EU ist ihre Untätigkeit.“ Also ein stiller Krieg? „Nein“, sagt Planert. „ Der Krieg ist nur still, wenn man wegsieht. Ich höre das Kind immer schreien. Das werde ich wohl nie mehr los. Nie wieder.“

Der Kontakt zu Planert kam durch die BOW-Mitglieder Helga und Michael Mönxelhaus zustande. „Es ist uns ein großes Anliegen, Dirk Planert zu unterstützen, weil wir als christliche Europäer nicht wegsehen dürfen“, sagt Helga Mönxelhaus, „weder an der kroatischen Grenze, noch auf Lesbos oder in den Flüchtlingsgefängnissen in Libyen. Das darf uns nicht gleichgültig sein. In unserer deutschen Geschichte haben wir schon einmal weggesehen und waren gleichgültig – das darf nicht sein. Hier geschieht Unrecht – und das können wir nicht ausstehen.“ Die beiden Braunshauser sammeln weiter Spenden für die Arbeit des Flüchtlingshelfers.

Auch für einen krisenerprobten Menschen wie Planert ist die Arbeit extrem kräftezehrend. „Ich habe kein Zeitgefühl mehr. Es gibt keine Tage, sondern nur Situationen, die sich aneinanderreihen. Besonders wenn es um Kinder geht, kommen mir manchmal die Tränen“, erzählt Dirk Planert, der im letzten Jahr Opa geworden ist.

Spenden können auf das Vereinskonto bei der Sparkasse Hochsauerland mit der IBAN DE07 4165 1770 0000 0608 71 überwiesen werden. Verwendungszweck: „Bosnien – Flüchtlingshelfer“. Eine Spendenquittung wird auf Wunsch ausgestellt. Weitere Informationen gibt es hier. Ein Bericht von Dirk Planert mit dem Titel „Der stille Krieg. Untätigkeit ist die Waffe“ ist auf der Seite der Heinrich Böll Stiftung zu lesen.

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