Außerhalb des HandS Projekts führt uns eine weitere Geschichte zur letzten Station auf unserer Reise nach Bihac. Bihac liegt im äußersten Nordwesten von Bosnien und somit nur einige Kilometer von der EU Grenze entfernt. So kommt es, dass hier viele Flüchtlinge ihr Glück versuchen die EU zu erreichen. In und um Bihac gibt es mehrere Flüchtlingslager. Ein illegal errichtetes „Lager“ wurde auf politischen Druck hin am 10. Dezember geräumt. Die Flüchtlinge wurden in die Nähe von Sarajevo verlegt. Viele haben vorher noch versucht die kroatische Grenze zu erreichen und halten sich seitdem in den Wäldern auf. Der Flüchtlingshelfer Dirk Planert versucht diesen Menschen zu helfen und wird dadurch von Building ONE World durch dafür gesammelte Spenden unterstützt.
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16 Jahre. Allein. In einem fremden Land

Nun aber zu unserer Geschichte. Durch unser BOW-Mitglied Julian erfahren wir von einem minderjährigen Mädchen aus Syrien, welches in Bihac in einem Lager feststeckt. Sie wurde auf Ihrer Flucht von Ihren Eltern getrennt. Ihre Eltern sind seit kurzem bereits in Deutschland und hoffen auf die schnelle Bearbeitung ihres Asylantrages. Erst dann können sie Ihre Tochter nachholen. Die 16-jährige ist nicht nur ganz allein, sondern musste erst vor wenigen Tagen einen schweren Schicksalsschlag erleiden. Beim Versuch die EU-Grenze nach Kroatien zu überqueren muss Sie mit einem Familienmitglied vor der kroatischen Polizei flüchten. Ihr Begleiter, der auf Sie aufpassen sollte, kommt dabei tragisch ums Leben.

Wir haben Ihren Namen, den Namen des Flüchtlingslagers und die Eckdaten Ihrer Vorgeschichte. Wir kennen Sie nicht persönlich und hatten auch bisher keinen Kontakt mit Ihr. Aber wir möchten Sie versuchen zu finden und zu besuchen. Schauen wie es ihr geht und ihr Hoffnung geben indem sie sieht, dass es Menschen gibt die sich um sie Sorgen.

Der Name des Flüchtlingslagers ist ein Hotel außerhalb von Bihac. Wir finden es sehr einfach. Der Parkplatz des Hotels ist mit Gittern abgesperrt. Auf den Gittern ein großes blaues Banner mit den Buchstaben IOM. International Organization of Migration. Wir fahren gegenüber zur Tankstelle auf einen Parkplatz. Wir sind sehr aufgeregt und überlegen wie wir das Mädchen finden können. In das Lager können wir nicht und ohne Papiere wird uns die IOM auch keinerlei Auskünfte geben. Wir steigen aus und überqueren die Straße. Von dort aus führt eine etwa hundert Meter lange Einfahrt zum Eingang des Lagers. Wir sind aufgeregt. Werden wir Sie finden? Wie wird das Gespräch? Aus dem Lager kommt eine kleine Gruppe junger Männer. Wir beschließen sie anzusprechen. Wir haben Glück und einer von Ihnen spricht englisch. Wir erzählen Ihnen, dass wir ein Mädchen suchen. Der Name sagt Ihnen nichts. Das Lager sei groß. Etwa 300 Personen, hautsächlich Familien und einige unbegleitete Minderjährige. Aus diesem Grund sei dieses Lager eines der Besseren wo es zumindest das nötigste gibt. Menschenwürdige Bedingungen sind wahrscheinlich dennoch etwas anderes.

Kurz sprechen die Flüchtlinge in einer arabischen Sprache und einer entschwindet zurück ins Lager. Wir sprechen mit den Geflüchteten woher sie kommen. Ein aus Afghanistan stammender erzählt uns, dass er es in den letzten zwei Monaten neunmal versucht hat über die Grenze zu kommen. Jedes Mal wurde er von der kroatischen Polizei erwischt. Sie nehmen ihm neben dem Geld noch Handy, Powerbank und Schuhe Weg. Teils wird dies noch vor Ort verbrannt. Gewalt ist keine Seltenheit. Dann wird er zurückgebracht und das „Spiel“, wie sie es nennen, beginnt von vorne.

Einer der Flüchtlinge kommt mit Weiteren aus dem Lager zurück. Ein junger Familienvater. Er selbst hat es mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern zweimal über die Grenze versucht – vergeblich. Wir fragen auch Ihn ob er das Mädchen kennt. Nach einem weiteren Gespräch löst sich erneut ein Junger Mann und verschwindet im Lager. Die Flüchtlinge, mit denen wir draußen stehen sind sehr höflich und außerordentlich hilfsbereit. Wir fühlen uns sehr sicher und entspannt. Sie berichten sehr offen über Ihre Erlebnisse und wirken sehr abgehärtet. Nach kurzer Zeit kommt einer der Afghanen zurück. Gemeinsam mit einem Mann in einer offiziell wirkenden Weste und einem jungen Mädchen. Unsere Aufregung steigt wieder. Der Mann stellt sich als ehrenamtlicher Übersetzer vor. Ein Glücksfall. Alternativ hatten wir bereits eine Übersetzung per Telefon organisiert. Das Mädchen stellt sich als die syrische 16-jährige heraus welche wir suchen. Sie trägt Flipflops und eine schwarze Jacke. Die Kapuze über dem Kopf. In der Dunkelheit erkennen wir Ihre schwarzen Haare, die braunen Augen und eine Hautfarbe etwas dunkler als unsere. Sie wirkt etwas schüchtern aber auch gleichzeitig sehr gefasst. Ihrem Gesicht sind keine Emotionen zu entnehmen.

Wir bedanken uns herzlich bei den anderen Flüchtlingen und Sie verlassen unsere Gesprächsrunde. Wir stellen uns kurz vor und fragen über den Übersetzer wie es ihr geht. Sie antwortet: „Nicht so gut“. Wir gehen nicht näher darauf ein, da wir die dramatischen Hintergründe kennen und Sie nicht wieder in Berührung damit bringen möchten. Sie erzählt uns, dass Sie auf der Reise von Ihren Eltern getrennt wurde. Ihre Geschwister haben Zuflucht in der Türkei gesucht. In dem Lager sei sie (jetzt) ganz allein. Durch Handy und etwas Empfang hier und da hat die 16-jährige die Möglichkeit in Kontakt mit Ihrer Familie zu bleiben. Uns interessiert ob sie das nötigste hat was benötigt wird. Sie nickt kurz. Der Übersetzer fügt hinzu, dass Duschen und warme Mahlzeiten vorhanden sind, auch wenn das Essen nicht immer gut sei. Wir möchten Ihr auch ein Geschenk geben. Gemeinsam mit Ihr und dem Übersetzer gehen wir zurück auf den Parkplatz bei der Tankstelle. Wir überreichen Ihr das Geschenk und sie bedankt sich sehr freundlich. Sie hat glasige Augen. Es ist schwer zu sagen ob sie gerührt ist oder ihr traumatische Bilder durch den Kopf gehen. Wir möchten erneut wissen ob sie weitere Schwierigkeiten hat. Die junge Syrerin berichtet nun, dass Sie das Geld, welches ihr ihr Vater per WesternUnion gesendet hat, nicht abholen kann. Ihr fehlen die nötigen Dokumente. Wir lassen ihr etwas Geld da in der Hoffnung, dass ihr dadurch der weitere Aufenthalt im Lager auch nur etwas leichter fällt. Wir verabschieden uns und wüschen Ihr alles Gute. Sie soll „die Hoffnung nicht aufgeben und Durchhalten. Es gibt Menschen, welche an Sie denken und versuchen, dass Sie schnellstens zu Ihren Eltern kommen kann.“. Sie schüttelt uns sehr freundlich die Hände und bedankt sich schüchtern mit einer Träne im Auge. Wir bedanken uns auch bei dem Übersetzer. Fünfzehn Minuten nachdem wir Sie getroffen haben verschwindet Sie jetzt wieder auf der anderen Seite der Straße. Thea, Sophia und ich setzen uns in unseren Transporter. Für einige Minuten sagt keiner ein Wort.

Quelle Titelbild: deutsch.rt.com

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